Mittwoch, 18. April 2007

Skurrile Begegnungen

Zu den drei Feiertagen von Khmer New Year ist Phnom Penh so gut wie ausgestorben - ein Großteil der Stadtbewohner hat sich aufgemacht zu den Familien aufs Land. Ich bin hier geblieben und hatte das ganze Wochenende über interessante Begegnungen, die ich dem geneigten Leser nicht vorenthalten möchte.
Der Text artet wieder einmal aus, deswegen heute unterteilt in Unterkapitel, so das jeder sich heraussuchen kann, was interessiert.

1. Der Bettler

Es war Freitag Nachmittag, auf Grund der anstehenden drei Feiertage zum Khmer New Year hatte ich ihn frei und es zog mich, des lauen Windes wegen, der dort immer vom Wasser her weht und die Flaggen entlang der Uferpromenade zum flattern bringt, an das Flussufer. Es dauerte nicht lang und ich war nicht mehr allein auf der Kaimauer mit meinem Buch – ein kambodschanischer Phnom Penh Tourist wollte mich gern ein bisschen ausfragen. Leider oder zum Glück war sein Englisch mehr als spärlich, so dass das Gespräch als bald ins Stocken geriet. Aber schon war der Nächste zur Stelle: ein junger Mann mit verkrüppelten Armen und Beinen im Rollstuhl. Sein Englisch war deutlich flüssiger, für die Touristen hatte man ihm einen Spruch eingeprägt: „Excuse me, Miss, I want to tell you my story. I had an bad accident, thats why I can not walk. Before I study english and law, but now I can not continue my studies, because of the steps. Could you please support me a little bit? Sorry Miss, don’t be angry with me.” Ich gebe ihm einen Dollar, den er in seinem Hosenbund verstaut und biete ihm außerdem eine von meinen Bananen an, was er dankend ablehnt. Er möchte nichts essen, denn er kann nicht allein auf Toilette gehen. Tatsächlich besteht der junge Mann nur noch aus Haut und Knochen, ich kann ihn schließlich überreden, mit mir einen Fruitshake trinken zu gehen. Da es die billigen Fruitshake-Stände nur auf dem etwa 10 Minuten zu Fuß entfernten Markt gibt, gehen dem Rollstuhlfahrer alsbald die Kräfte aus. Kurzerhand mischen wir uns in den anschwillenden Freitagnachmittagsverkehr: Ich auf dem Rad mit ihm auf seinem Rollstuhl an der Hand. Eine Ausländerin allein auf dem Fahrrad ist schon eine Attraktion für die Khmer – mit dem Rollstuhlfahrer wird es richtig interessant und man zeigt mit Fingern auf uns (was hier als unhöflich gilt), grinst verunsichert, stößt den Nachbarn mit dem Ellenbogen an oder dreht sich auf dem vorbeifahrenden Moped noch mal um. Am Markt angekommen, macht niemand Anstalten, für uns die parkenden Mopeds wegzuschieben oder mir zu helfen, den Rollstuhl die Treppenstufen hochzuwuchten. Der junge Mann erzählt mir mehr von seinem Leben und es stehen ihm die Tränen in den Augen. Eigentlich hat er durch seine Behinderung ein ganz gutes Auskommen, vor allem die Touristen geben viel aus Mitleid, aber aus der Khmergesellschaft ist er ausgestoßen. Nur wegen Khmer New Year, der Zeit der Familie und Fröhlichkeit in Kambodscha, versucht auch er fröhlich zu sein und vielleicht bekommt er auch nächste Woche einen neuen Rollstuhl von einer ausländischen NGO.

2. Die Foreigner-Jugend und die reichen Khmer-Kinder

Am gleichen Abend noch, nachdem ich die Übelkeit von meiner letzten Begegnung mit einem Stück Pizza heruntergeschluckt hatte, traf ich mich mit meinem Arbeitskollegen und dessen gut situierten besten Freund, um auszugehen. Die beiden bevorzugen eine Lounge, ebenfalls am Fluss, wo immer die gleichen Hip Hop Sounds der Black Eyed Ps (oder wer auch immer) gespielt werden und die bevorzugt von den Kindern hier arbeitender Foreigner der International School besucht wird: Alle Herren im US-Sneakers-Tiefarschjeans-T-Shirt-Look die Damen dagegen leicht bis gar nicht bekleidet und alle beugen sie die Knie und wackeln mit dem Hintern wie überall auf der Welt bei dieser Art der Abendgestaltung. Meine kambodschanische Begleitung versucht sich möglichst unauffällig unter die Masse zu heben, mit Unterstützung der dickbäuchigen Security, die für die Gefälligkeiten freilich ein kleines Entgeld erhalten. Trotz aller Bemühungen wirken wir wie Fremdkörper in dieser eingeschworenen dekadenten Gesellschaft, die trotz aller widrigen Umstände versucht, eine möglichst westliche Jugendzeit zu verleben, weit weg von allem, was Kambodscha ist.

3. Politische Prominenz

Da jetzt zu Khmer New Year allerhand los war überall, wurde ich am Samstag von einem kambodschanischen Bekannten, einem jungen Mann, der seine Kindheit in Deutschland verbracht hat, eingeladen, ihn auf ein Dorffest zu begleiten, zu dem er wiederum von einer Studienkollegin eingeladen wurde. In Erwartung der nassen und staubigen New Year-Traditionen kleidete ich mich leger – einFehler – den dort angekommen, stellte ich fest, wie underdressed ich doch war (wie so oft hier in Kambodscha). Denn das Fest wurde gegeben von einem ziemlich hohen Tier in Kambodscha, des Regierungschef Hun Sens persönlicher Übersetzer und enger Berater. Sein Landsitz war unheimlich groß, voller fremder Bäume und dezenter Dekadenz. Beliebt bei den Dorfbewohnern, auf Grund seiner ausufernden Festlichkeiten, zu denen er alle einlädt, bescherte er seiner Partei in diesem Jahr einen unglaublichen Wahlerfolg in seiner Kommune. Jedenfalls durfte ich, der andere Ausländer und unsere Begleitung zum opulenten Mittagsmahl auf dem erhabenen Pavillon bei seiner Familie Platz nehmen, und er stieß sogar mit uns auf das neue Jahr an. Eine für mich unerwartete und seltsame Begegnung, besonders nachdem mir eine deutsche Freundin am Abend erzählte, was für eine negative Rolle der Herr in der Hun Sen-Dikatatur im Lande spielt.

4. Ein Musikdozent mit eigener Kneipe

Später am Abend erweiterte sich die Folge der skurilen Begegnungen um einen dickbäuchigen Herrn, der im Rotlichtviertel Phnom Penhs ein „Art Café“ eröffnet hat. Zum Einstieg zeigte er letzten Monat Boyys, jetzt war es ein Berliner Künstler mit einer aufwendigen Lichtinstallation. Dazu gab es ausgezeichneten Flammkuchen, auf den auch gern die Kunden der umliegenden Etablisments zurückgreifen, so das ab und zu ein leichtbekleidetes Khmermädchen in den Laden kommt, um ‚das Übliche’ zu bestellen. Der Besitzer kommt unüberhörbar aus Rheinland und unterrichtet an der Phnom Penher Uni Musik. Und davon hat er wirklich Ahnung: Ausschweifend erzählt er von Künstlern und deren Schaffensperioden, bevor er sich in einer schier endlosen Klagerede über das kambodschanische Bildungssystem verliert. Sein Sohn, der gerade das deutsche Abitur verfehlt hat, erzählt mir im gleichen Tonfall und mit einer übertrieben-expliziten Wortwahl, die mich in Verbindung mit dem Dialekt zum Schmunzeln bringt, wie froh er ist, der 12 Jahre andauernden Freiheitsberaubung durch die Schule endlich entkommen zu sein, um jetzt endlich von sich sagen zu können, dass er nicht weiß, was er machen wird, und das ist auch gut so.

5. Ein Aussteiger im ‚Edelweiß’

Den Sonntagabend verbrachte ich schließlich mit einer Freundin im ‚Edelweiß’ einer deutschen Kneipe am Fluss, von deren Bratkartoffeln mir jetzt noch das Wasser im Mund zusammenläuft. Hier traf ich einen deutschen Aussteiger, der versucht, in Phnom Penh eine Snackbar zu eröffnen. Dieses Unterfangen zieht sich wohl schon länger hin, und wir wechselten das Thema über einzelne Vertreter der deutschen Gemeinde in PP hin zu deutschen Banken und Steuereintreibern, was auch wieder sehr skurril anmutete, mit den Händen auf der blau-weiß-karierten Tischdecke, und dem Blick auf den endlos vor der Tür vorbeiziehenden Schlangen an Mopeds, Cyklos und Autos der Phnom Penher Rushhour.

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